News -
Osteopath bei der gefährlichsten Rallye der Welt / Interview mit VOD-Mitglied Martin Auracher: Im Einsatz bei der Rallye Paris-Dakar
VOD: Herr Auracher, Sie haben an der so genannten „gefährlichsten Rallye der Welt“ in Dakar in Saudi Arabien teilgenommen, wo Anfang Januar rund 300 Teilnehmer per Auto, Motorrad oder Lkw 7.500 Kilometer zurückgelegt haben. Wen haben Sie als Osteopath betreut?
Martin Auracher: Ich habe bei der Rallye Dakar 2022 die Motorradfahrer des „Red Bull / KTM Racing Teams“ osteopathisch betreut. Matthias Walkner aus Österreich (Dakarsieger 2018, 2. 2019, 3. 2022), Toby Price (Australien), Danilo Petrucci (Italien) und Kevin Benavides (Argentinien) gehören zu diesem Team. Dazu kommen die Fahrer des Team GasGas und Husqvarna. Insgesamt achtRider.
VOD: Waren Sie das erste Mal dabei? Und wie ist es dazu gekommen?
Martin Auracher: Ja, ich war das erste Mal dabei. Ich habe über die Jahre die Teammitglieder zum Teil in unserer Praxis OsteoZentrum in Schliersee behandelt und deshalb den engen Kontakt vor allem zu Matthias Walkner gehabt. Wir haben schon Jahre vorher über meine Teilnahme gesprochen, und 2022 hat es endlich geklappt.
VOD: Welche Aufgaben hatten Sie und wie waren Ihre Arbeitszeiten?
Martin Auracher: Meine Aufgabe war es, mit zwei Kollegen aus Österreich und Australien unsere Teammitglieder optimal auf diese extremen Anforderungen vorzubereiten und die reichlich bestehenden Vorverletzungen zu therapieren. Mein Tag beginnt oft schon um 3:00 Uhr morgens, mit ersten Behandlungen, Tapeverbänden und neurofunktionellen Übungen. Der Tag dauerte meist bis 21.00 Uhr, bis alle Teammitglieder komplett versorgt waren. Natürlich helfen alle Assistents (40 Personen, Mechaniker, etc) zusammen beim Aufbau und Abbau der Camps.
VOD: Wie konnte Osteopathie genau bei der Bewältigung der enormen Herausforderungen helfen?
Martin Auracher: Bei diesem extremen Sportevent ist es sehr wichtig, das besondere Anforderungsprofi der Fahrer zu kennen. Selbstverständlich ist der körperliche Zustand die Basis. Hier ist die Untersuchung des gesamten Körpers, das Auffinden von Läsionen und deren Behandlung eine Voraussetzung. Allerdings ist es tatsächlich lebenswichtig, ein hohes Level an Aufmerksamkeit über fünf bis sechs Stunden halten zu können. Die hohen Geschwindigkeiten im unbekannten Wüstengelände erfordern eine perfekte visuelle und vestibuläre Performance. Das heißt Augenfunktion und Gleichgewichtsorgan müssen kontrolliert und stabilisiert werden.
VOD: Wo haben Sie geschlafen? Unter welchen Bedingungen gearbeitet?
Martin Auracher: Die meisten Nächte schläft man im Zelt unter freiem Himmel. Das ganze Camp (ca. 1500 Personen) verbringt die Nacht im Zelt, die Fahrer im Wohnmobil. Die Behandlungen erfolgen in zwei Zelten mit Heizmöglichkeit. Die Voraussetzungen sind ok, aber nicht vergleichbar mit einem Behandlungsraum in einem Hotel.
VOD: Man sagt, die Herausforderung der Rallye bestehe vor allem darin, lange genug durchzuhalten. Was steckt dahinter und welche Rolle spielt die Osteopathie dabei?
Martin Auracher: Die Rallye hat zwölf sogenannte Stages (Tagesetappen). Teilweise sind pro Tag über 700 km zu fahren, der Großteil im unwegsamen, unbekannten Gelände. Stürze sind an der Tagesordnung. Nur fünf unserer acht Fahrer konnten die Rallye beenden. Das Hochhalten der Aufmerksamkeit steht im Vordergrund. Dazu kommt, dass die Fahrer parallel dazu ständig über das Roadbook navigieren müssen, und Gefahr laufen sich zu verfahren. Erst wenn du ganz zum Schluss als erster über die Ziellinie fährst, hast du gewonnen. Aus Sicht der Osteopathie ist die Behandlung des zentralen Nervensystems und insbesondere des Gehirns entscheidend. Ein Release der Zu- und abführenden Gefäße ist wichtig für die Regeneration des Gehirns. HVLA-Techniken sind obligat. Die Behandlung der Schädelsuturen erwies sich als hilfreich, besonders nach Stürzen mit Schädelkontusion. Selbstverständlich ist die Behandlung des Myofaszialen Systems permanent nötig. Eine spezifische Herausforderung…
VOD: Wie kann man sich das Umfeld der Rallye vorstellen?
Martin Auracher: Irgendwie ist alles elementar, es gibt keinen Luxus, keinen Schnick-Schnack. Alle haben nur das dabei, was sie unbedingt brauchen. Das Team besteht aus Spezialisten für Motor, Dämpfung, Chassis, Elektronik usw. Täglich werden Mensch und Maschine wieder in den möglichst besten Zustand gebracht. Die Situation, dass die Fahrer buchstäblich um Kopf und Kragen fahren, macht die Rallye zu einem echt anspruchsvollen Projekt, an dem ein großes Team mitarbeitet. Es gibt aber nur wenige Werksteams, die meisten fahren aber um dieses außerordentliche Erlebnis in der Wüste Saudi Arabiens mitmachen zu können.
VOD: Was war Ihr schönstes und welches Ihr schlimmstes Erlebnis?
Martin Auracher: Es spielen sich viele kleinere und größere Dramen bei der Rallye ab. Mein schönstes Erlebnis war der Sieg von Sam Sunderland. Der Engländer war am Anfang gestürzt und konnte sich am nächsten Tag kaum bewegen. Nicht zuletzt durch unsere intensiven Behandlungen konnte er die Rallye doch noch gewinnen! Sehr kritisch war der Sturz eines weiteren Teammitglieds, Daniel Sanders, der sich Ellbogen und Hand gebrochen hat. Eine Nierenblutung hielt ihn für Tage im Krankenhaus, gottseidank ist er auf dem Weg der Besserung.
VOD: Wollen Sie noch einmal teilnahmen?
Martin Auracher: Diese intensiven Erlebnisse muss ich erst mal verarbeiten. Meine Arbeit im OsteoZentrum nimmt meine Kräfte voll in Anspruch. Schau ma moi…
VOD: Vielen Dank für das Interview und gute Erholung!